Warum der Hirsch sein Geweih verliert, ein keltisches Märchen

Meine jungen Brüder und Schwestern! Ihr werdet diesen Sommer mit Beginn des Jahres an Beltane in das Leben von Frauen und Männern eingeführt werden.
Wild und zügellos entfacht wird Eure Lebenskraft erwachen beim ekstatischen Tanz ums lodernden Feuer, das all das alte Gehölz, das gefallene Laub und die Sorgen des Winters verbrennt. Die alten Felle, die Ihr den Winter über getragen habt, die verschmutzten Stoffe aus Nessel und Leinen werdet Ihr ausziehen und ins Feuer schleudern, damit Euch wie bei unserer heiligen Schlange neues, größer geschnittenes und schöneres Gewand gegeben werde. Das Licht wird die Dunkelheit durchdringen, die Wärme, die Hitze des Feuers wird in Eure Gliedmaßen steigen und Ihr werdet Euch jeweils in Paaren an die Hand nehmen und die Wärme des Feuers weit hinaus in die Nacht tragen. Nun treffen wir uns hier unter den Strahlen des drittletzten Vollmondes vor dem großen Jahreswechsel, an Imbolc, zum letzten Mal eng aneinander gekauert ums Feuer, um gegen Kälte und Dunkelheit des Winters gefeit zu sein.
 
So wie der Winter bald stirbt, so sind wieder viele von uns gegangen ins Land ihrer Wünsche und es werden uns noch weitere verlassen, gezeichnet von Hunger und Krankheit. Seid aber ohne Sorge, spätestens zu Samhain im Herbst wird sich das Tor zur Anderswelt wieder öffnen und ihr werdet viele der Euch Lieben in Euren Träumen wieder umarmen können. Denn Cerumnos, unser mächtiger Herr der Wälder, wird seinem Gefolge, den starken großen Rothirschen, den gesprenkelten Damhirschen und den zierlichen Böcken befehlen, die schweren Himmelstore, die mit Gewalt nach unten drücken und den Zugang zur Welt der Verstorbenen für lange Zeit wieder verschließen wollen, mit Ihren mächtigen Geweihen nach oben zu halten. Schwer ist diese Last und immer wieder wird eines der tapferen Tiere in die Kniee brechen. Gleich sofort aber wird ein weiteres oder auch zwei dieser mutigen Geschöpfe in die Bresche springen, Sekunden nur, bevor splitternd die Geweihschaufeln des Vorgängers brechen und sich vom Haupte lösen, zerdrückt durch das Gewicht der Pforten. Dunkel röhrend , laut und schmerzvoll röchelnd wird sich der Unterlegene aus der Bürde zurück ziehen und den anderen Nachrückenden Platz machen. Immer und immer wieder wird so einer der Standhaften niederbrechen, wird Geweih um Geweih splittern und die Zahl der Nachrückenden Hirsche immer kleiner werden.
 
Solches aber ist not, damit unsere lieben Verstorbenen während der rauhen Nächte uns ihre Wünsche und Ratschläge in unsere Traumgesichter einbauen und die des Lebens Erschöpften, die jetzt im Winter von uns gehen, Einlass finden hinter den Pforten der Anderswelt. Allzu groß wäre Ihr Zorn und Ihr Klagen, wenn sie ohne die Speise der Toten, ohne die Ruhe des Jenseits für ein ganzes Jahr hier herumstreifen müssten und aus Gram nächtelang den Lebenden den Schlaf rauben würden.

So Sei Cerumnos Dank und unseren gehörnten Brüdern für ihr ehrenhaftes Standhalten.
Heute an Imbolc werden sich die Pforten schließen und der Kraftaufwand der Gehörnten kann ein Ende haben. Alle werden sie jetzt bis ans Ende ihrer Kraft aufgerieben und ihrer mächtigen Geweihe beraubt laut klagend durch die Wälder ziehen. Ihr werdet sie schon in den letzten Tage gehört haben und Euch gefragt haben, wer denn nur solche tief klagende Laute von sich geben kann. Doch Cerumnos wird die Seinen nicht vergessen und wird ihnen bald ein neues größeres und schöneres Gehörn wachsen lassen. So wird Ihr Klagen in freudiges und kampfeslustiges Röhren übergehen und die Kräfte der Natur wieder aus dem Winterschlaf erwecken.

Geschützt aber sollen unsere kräftigen Waldesbrüder sein von Jagd und Verfolgung. Sie bringen uns neues Leben, indem sie den Toten den Weg zurück frei halten.

Im Haus der Kulturen Diedorf wird eine umfangreiche Ausstellung von Schmuck anderer Kulturen gezeigt. Zum Verkauf angeboten werden kleine silberne Hirschidole, Symbole für Ausdauer und Neues Leben, Tiere der nächtlichen Ruhe, des Silbermondes, des kühlenden Taus und der Wiedergeburt, wie es schon seit der Steinzeit und dann bei den Kelten geglaubt wurde.
In Molise am Apennin, in Mittelitalien tritt zu Beginn des Sommers ein in Felle gehüllter und mit Geweih bekrönter Tänzer auf, der im Kampf mit dem Menschen, die Natur beschützen will. Bei uns in Diedorf bei Augsburg führt der mit Hirschgeweih gekrönte Perchtold die Schar der Perchten-Tiergeister ums Neujahrfeuer an, in dem die negativen Kräfte des Alten Jahres verbrannt werden.

siehe auch ‚warum der Hirsch sein Geweih verliert‘ auf myheimat.de