Alternative Wahrheit
Das kennen wir ja schon:
In Afrika erzählt man die Geschichte von Skorpion und Frosch so: Ein Skorpion kommt an einen großen Fluss und sagt zum Frosch: Lass mich auf Deinen Rücken steigen und bring mich zur anderen Seite, dann gebe ich Dir ein schönes Geschenk. Der Frosch sagt: Wenn ich Dich auf dem Rücken habe, wirst Du mich stechen und ich sterbe. Darauf erwidert der Skorpion: So kann das nicht enden, denn wenn ich Dich steche, gehst Du unter und wir sterben beide. Wem wäre da gedient? Mitten im Fluss bekommt es der Frosch doch mit der Angst und will weg tauchen. Da sticht ihn der Skorpion und sie sterben beide.
Wenn ein Geschichtenerzähler eine Geschichte so kurz wie hier erzählt, wird er keinen um sich herum sitzen haben, der seine Geschichten hören will. Wenn er zu seinen Geschichten dagegen immer Weiteres dazu erfindet, dann hören im viele zu, werden spät in der Nacht aber dann doch müde und gehen schlafen. Im Traum erfindet jeder dann seine eigene Fortsetzung der Geschichte und findet einen neuen Schluss. Wenn aber der Geschichtenerzähler seine letzte Geschichte erfunden hat, stirbt er. So einfach ist das in Afrika.
Also probieren wir das jetzt einfach nochmal:
Ein Skorpion sitzt auf einem Mangobaum. Über sich, um sich herum ist der Duft überreifer Mangofrüchte, die mit einem Plumps herunterstürzen, aufplatzen und so einen süßen und unwiderstehlichen Duft ausströmen, wie man ihn sich hierzulande von diesen grünen , harten und vorzeitig geernteten Früchten aus dem Supermarkt gar nicht vorstellen kann. Hier in Afrika sind diese Früchte so süß, weil unter der Rinde des Stammes mit wildem Druck der ganze volle klebrige Saft des Baumes in die Höhe gedrückt wird und sich in den köstlichen Früchten oben speichert.
Aber wie jede herrliche Sache auch ihre Schattenseiten hat, summt und brummt um das Insekt herum eine dunkle Wolke voller Fliegen, die sich angelockt von den aufgeplatzten Mangofrüchten hier und da und dort niederlassen und dem Skorpion sehr lästig werden. Nun sind dem Skorpion die Mangofrüchte aber ziemlich egal und die Fliegen dagegen wären ihm unter anderen Umständen ein gar sehr willkommener Happen.
Aber müssen das dann immer gleich so viele auf einmal sein! Nur wer von seinen Speisen nicht gleich gar so viel auf dem Teller hat, kann das dann noch richtig genießen.
Langer Rede kurzer Sinn: dem Skorpion wird das dann echt zu viel und schleunigst flüchtet er,……. bis er an einen großen breiten Fluss kommt. Dort sagt er zum Frosch: Lass mich auf Deinen Rücken steigen und bring mich zur anderen Seite, dann gebe ich Dir ein schönes Geschenk. Der Frosch sagt: Wenn ich Dich auf dem Rücken habe, wirst Du mich stechen und ich sterbe. Darauf erwidert der Skorpion: So kann das nicht enden, denn wenn ich Dich steche, gehst Du unter und wir sterben beide. Wem wäre da gedient? Mitten im Fluss bekommt es der Frosch doch mit der Angst und will weg tauchen.
Da erzählt ihm der Skorpion, welch schönes Geschenk auf ihn wartet: Jetzt mitten in der Mangozeit schwirren oben in den Baumwipfeln hunderte, ja tausende von Fliegen. Das ist ja gewiss unser beider Leibspeise. Aber Du hier unten kannst ja nur sehnsüchtig und mit großem Verlangen nach oben in die Baumwipfel schielen, während ich ohne weiteres für uns beide dort oben nach Fliegen jagen könnte. Also schwimm weiter und bring mich über den Fluss. Am anderen Ufer angekommen muss der Skorpion den Frosch natürlich vertrösten: Bis er zum nächsten Baum gelangt sei, solle er doch bitte noch warten. Der Frosch ist jetzt aber natürlich ganz empört und verärgert und sagt: Hast Du das denn noch gar nicht gesehen: Hier auf dieser Sandinsel im Fluss können doch gar keine Mangobäume wachsen.
Ja dann musst Du mich doch wieder gleich zurück bringen, ist sich der Skorpion da bewusst. Und wieder fangen beide zu diskutieren an: So der Frosch: Wenn ich Dich zurückbringe, dann willst Du Dich vielleicht aus der Verpflichtung Deines Versprechens befreien und stichst mich einfach und… zähneknirschend – auch wenn Frösche gar keine Zähne haben- lädt der Frosch das Krabbeltier dann aber doch wieder auf seinen Rücken und schwimmt zurück. Als er am anderen Ufer angekommen ist, sticht ihn der Skorpion und der Frosch stirbt.
Der Skorpion klettert auf den Mangobaum. Weil es mittlerweile kühler geworden ist, hat sich der Fluss süßer Säfte hoch zu den Früchten im Stamm stark verlangsamt. Da wo der Baumsaft aus feinen Rissen der Rinde heraus gequollen war, hatten sich große dicke klebrige Tropfen gebildet. Als das Insekt sich gerade auf eine Fliege stürzen wollte, um sie genüsslich nach all der Anstrengung und den leeren Diskussionen zu verzehren, ist es dann passiert: Der Skorpion blieb kleben und je mehr er sich bemühte, weg zukommen, um so mehr zog ihn der klebrige Stoff zu sich hin und schließlich auch ganz in sich hinein, bis das ganze Tier von einem dicken Tropfen Baumharz rundherum ein geschlossen war. War das jetzt so eine Art gerechter Strafe für ein gebrochenes Versprechen, den miesen Betrug oder gar den heimtückischen Mord?
Aus einer Zeit, als gerade noch die letzten Dinos lebten, gab es bei uns im kühlen Norden Deutschlands große Wälder riesiger Bäume, die sonst nur in den heißen Tropen beheimatet sind. Weil auch dort das flüssige Baumharz , das aus den Ritzen der Bäume drang , manchmal besonders unachtsame Insekten überrascht und eingehüllt hat, findet man manchmal und eher selten solche mittlerweile ganz gehärteten Harzklümpchen, in denen diese Insekten , aber auch Pflanzenteile so eingeschlossen sind, dass sie sich in diesem durchsichtigen Stein, den man Bernstein nennt, ganz wie vor 70 Millionen Jahren erhalten haben. Für unsere Schmuckausstellung im Haus der Kulturen Diedorf konnte ich ein paar kleine versteinerte Harztröpfchen erwerben, in denen eine ganz klitzekleine Mücke zu finden ist -kaum mit blßem Auge zu erkennen..
Manchmal sieht man im Handel aber auch recht große Harztropfen, in denen auch größere Tiere wie ein Käfer, ein Schmetterling oder eben auch sogar ein Skorpion wie beim echten Bernstein im gelben oder ganz durchsichtig ausgehärteten Harz verborgen sind…. und davon gibt es sogar ganz besonders viele. In den Ländern, in denen diese Insekten gelebt haben, gibt es nämlich Leute, die solche Krabbeltiere fangen, töten und dann in künstliches Harz, das freilich viel schneller hart wird, eingießen. Wenn sie so tun, als ob das echter seltener Bernstein sei, ist das Betrug wie in unserer Geschichte vom Skorpion. Das wär dann ja gar nicht schön.
Wenn ich Euch Geschichten erzähle, ist das ja nun auch immer so eine Sache , die man von zwei Seiten sehen kann: Auf der einen Seite ist man bei uns ja schon seit Jahrhunderten daran gewöhnt, dass eine Geschichte einen Schluss hat, der einem auch richtiges Verhalten erkennen lässt und da übertreibt man dann eben ein wenig. Man sagt dann auch: … und die Moral von der Geschicht ´….. das geht jetzt aber weiter mit…. vertraue keinem Lügner nicht.
Eigentlich sind Geschichtenerzähler ja damit dann doch fast immer Lügner, weil die Geschichte so gehörig von der Wirklichkeit abweicht. Das ist ja auch ganz offenkundig, weil ja weder Frösche noch Skorpione sprechen können.
Andererseits, wenn ich mir anschaue, was so Alles im Fernseher, bei den Videospielen und in den digitalen Medien behauptet wird, sind vielleicht meine Geschichten auch noch gar nicht so weit unwahr, dass man nicht doch schnell erkennen könnte, was wahr ist oder was sich jetzt wirklich nicht so zugetragen hat und was dann nur eben eine Art modernes Märchen ist..
Was meint Ihr?