Im Tempel der tausend Spiegel

Ein indonesisches Märchen

Ein Hund wurde von Seinen Herrschaften verwöhnt, ein anderer von den Seinen immer wieder geschlagen. Als die Besitzer von beiden gestorben waren, wurden beide auf die Straße gejagt und mussten sich in der Gruppe fremder Hunde, die überall herum lungerten und gleich immer nach dem kleinsten Bissen schnappten, zurecht finden. Während der Hund, der immer verwöhnt worden war, sich gar sehr nach seinen alten Besitzern zurücksehnte und sich in der beißenden Meute gar nicht zurecht fand, genoss der Hund, den man immer geschlagen hatte, seine neue Freiheit. Tatsächlich schien dies naheliegend, war aber doch sehr überraschend, weil man ja weiß, das Schläge nur verbittern und den Geschlagenen ebenso bösartig werden lassen.

Für die holländischen Kolonialherren wurden solche Spazierstöcke aus Teakholz geschnitzt. Die Holländer sind natürlich längst weg, jetzt werden diese Stöcke von reichen Chinesen angekauft.

Wie dem auch sei, eines Tages stahl sich der verwöhnte Hund aus der Meute davon, um lieber allein nach etwas Fressbarem zu suchen, denn zu sehr hatte er unter den Bissen der anderen Hunde gelitten. Obwohl man Hunde im mohammedanischen Teil Indonesiens als unrein allgemein nicht besonders schätzt, hatte der Hund Glück und kam an einen buddhistischen Tempelbezirk, in dessen Umfeld die Mönche auch allen Tieren gewogen sind und ihnen den Rest der Opferspeisen darbieten. Da er wohl zu spät gekommen war und die Vögel schon die letzten Reiskörner aufgepickt hatten, schlich sich der Hund zur Tempeltür und öffnete sie ganz vorsichtig mit seiner Schnauze. Als Licht in den Tempel fiel, erschrak der Hund ganz fürchterlich, denn an der hinteren Tempelwand sah er in tausenden von Spiegeln eine ebensolche Anzahl Hunde. Zu Tode erschrocken fing er zu bellen an und fletschte so gut er das gelernt hatte die Zähne. Tausende fremder und ebenso bösartig die Zähne fletschende Hunde standen im Gegenüber und wollten sich auf ihn stürzen. In panischer Angst rannte der Hund davon. Dann sollte es für ihn doch besser sein , sich der weit kleineren Meute auf den Straßen zu stellen. Zum Tempel kam er nie mehr zurück.

Einige Tage später war ein anderer Hund, vielleicht war es der, den man früher immer geschlagen hatte, vielleicht auch nicht. In der großen Zahl herum wildernder Hunde ließ sich ja so struppig und verwahrlost wie sie waren kaum ein Individuum genau bestimmen…. nun dieser Hund war ebenfalls zum Tempelbezirk gekommen, hatte die Türe des Gebäudes vorsichtig mit der Schnauze geöffnet, hatte im hereinfallenden Licht eine riesige Anzahl struppiger Köter erblickt und…… gar freudig mit dem Schwanz gewedelt. Mit tausendfachem Echo wurde er von all den vielen Hunden mit freudigem Schwanzwedeln begrüßt. In Erinnerung dieses schönen Willkommens kam der Hund auch am nächsten Tag schon in aller Frühe, gleich nachdem der Tempel geöffnet wurde und hatte damit immer Anteil an den vielen Opfergaben, die die Menschen zum Tempel brachten.