Die vier Steine der Tigerfee

Märchen aus dem Lande Sint (Pakistan)

Heiß, glühend heiß brannte die Sonne vom Firmament auf die Wüste Sint herunter, als sich ein junger zerlumpter Mann ermattet in den Schatten einer Akazie hin sinken lies. Er war ein Derwisch, hatte nichts Vernünftiges gelernt und musste bettelnd von Dorf zu Dorf ziehen, um für den müden Schalk, den er dort den Bewohnern zum Besten gab, ein paar kleine Münzen zu geworfen zu bekommen. Einäugig war er nun auch noch oben drein . Es hatten ihm nämlich unlängst drei andere Bettler beim Kampf um einen Teller Suppe hinterhältig ein Auge ausgestoßen.  „Was habe ich verbrochen“, haderte er mit seinem Schicksal, „dass ich mich täglich mit dem wenigen Almosen zufrieden geben muss, das unser Prophet den Reichen abverlangt. Bin ich nicht genauso gut wie jene, denen der Segen Allahs in Strömen zufließt. Warum wird mir nicht wenigstens soviel zugelost, dass ich zumindest in Würde leben kann?“ So klagte und jammerte er die ganze Zeit vor sich hin und fand nichts Gutes an seinem Leben , bis er erschöpft einschlief.
Mitten in seinen Träumen wurde er wach, geweckt von einem gefährlichen Knurren und starrte im Erwachen mitten in die in bösem Gelb leuchtenden Augen einer riesigen Katze: „ Muaser“ sprach diese gequetscht durch ihre langen weißen Eckzähne “ Muaser, ich habe Dich gehört, wie Du mit Allahs herrlicher Schöpfung hast gehadert. Alles ist gerecht verteilt und jedem wird ganz nach seinen Möglichkeiten gegeben “ knurrte die Tigerfee. „Ich bin der Dschinn der Prüfungen und gebe jedem eine Chance sich zu bewähren. Nimm dieses eine meiner Augen und füge es ein in Deine leere Höhle. So wirst Du die ganze Gerechtigkeit der Welt sehen können. Ein Tropfen meines Blutes hier im Korallenstein gefangen, um Deinen Hals gehängt und über dem Herzen getragen wird Dir auch meine Kraft und Stärke verleihen. Dieses blaue seltene Plättchen von von ganz da im Norden der Berge, das wir Lapis lazuli nennen, trage unter dem Lederriemen auf Deiner Stirn über der Nase. Es verschafft Dir klaren Verstand in den hitzigsten Lebensphasen. Auch gebe ich Dir diesen türkisfarbenen Stein des erfrischenden Wassers, das den Verdurstenden erweckt, wenn er zusammen gebrochen von den Pfeilen der glühenden Sonne mitten in der Wüste verzweifelt um Hilfe bittet. Lege ihn auf Deine Zunge und entferne ihn nicht, solange Du Deine Prüfungen zu bestehen hast. So und nun folge diesem Pfad hinein in die Wüste, bis Du an eine Oase kommst, an der viele meiner Artgenossen einen heiligen Dattelbaum bewachen. Sei nicht verzagt, die Raubtiere können dich so nicht sehen, wie Du bist, kleines armseliges Menschlein, denn Du trägst ja mein Auge und erscheinst ihnen so gleichermaßen als Tigermann. Vergiss auch nicht den Tropfen meines Blutes im weissen Korallenstein über Deinem Herzen. Es gibt Dir den Mut und die Kraft , Dich sicher unter den Raubkatzen zu bewegen. Der blaue Lapis über Deiner Nasenwurzel, er schützt Dich, dass Du nur ja nicht als Menschenkind gerochen wirst. Sprich aber auch nichts und nimm ja nicht den Türkisstein von der Zunge, denn Dein klägliches Winseln klänge ja nur wie dummes Menschengeplapper in den Ohren der mächtigen Raubtiere. Denke daran, nimm Dir nur drei Datteln vom Baum, brich sie und geh.  Ja nicht darfst Du dort von den Früchten essen! Sie sind nicht für den Moment bestimmt. Nimm sie und gehe weiter bis zum Ort, wo Du die nächste Quelle siehst. Pflanze die Dattelfrüchte im Sand, es werden 3 Bäume wachsen. Nimm auch von deren Früchten und pflanze sie und Du wirst mit dem Verkauf der Früchte zum reichen angesehenen Manne werden…. und jetzt geh!“
 
Sofort machte sich der Derwisch auf den Weg, begierig dem eigenen armseligen Dasein zu entkommen. Doch schon auf dem Weg entledigte er sich des fremden Tigerauges, das ihn gar sehr in der Höhle zu jucken begann. Sofort fiel im wieder ein, wie ungerecht doch sein Los war und wie gewohnt wollte er mit seinem Schicksal schimpfen und hadern. Indessen der erquickende Türkis, der sich in der Hitze der Wüste doch ganz angenehm kühl auf der Zunge anfühlte, hinderte ihn noch weiter daran. Wie angekündigt kam er zum Rudel der Tigerinnen, die ihn jetzt zwar eigentlich sahen, aber weder hören noch riechen konnten und so getäuscht aufgeregt in den unterschiedlichsten anderen Richtungen zu suchen anfingen. War er für sie doch wie eine Fata Morgana nur ein verwirrendes Trugbild. Auch der Baum war dort mit all den herrlichen Datteln, die aber kaum erreichbar in großer Höhe dicht an dicht am Baume klebten. So kletterte er behende hoch, gestärkt mit der Kraft der Tigerfee und war schon bald in der Baumkrone angekommen. Oh, wie die Datteln süß und verlockend dufteten. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen und so groß war die Gier danach, dass er schnell seiner Anweisungen vergessend den kühlenden Stein aus dem Munde nahm und sich Handvoll um Handvoll der süßen Früchte in den Mund schob. Dabei gluckste er zunächst nur glückselig , doch bald nach mehreren Bissen rülpste er sogar recht laut vor lauter Freude über diesen Gaumenschmaus. Das hatten nun die Raubtiere gehört und umringten wütend den Baum mit dem Datteldieb. Grimmig schlugen sie Ihre Krallen in die Rinde und schüttelten den Baum, dass dem Derwisch ganz Angst und Bang wurde und er sich den Schweiß von der Stirne wischte. Kaum hatte die Hand auch den blauen Lapis unter dem Lederstreifen heraus gedrückt, erfasste ihn heiße unüberlegte Panik und in der Angst zu ersticken ,riss er sich auch das Korallenband vom Hals. Konnte er sich eben noch gut an den Ästen festklammern, verließ ihn ganz plötzlich jede Kraft,
Mehrere Äste brachen und er stürzte direkt vor die Klauen der Tigerfrauen.
Erschreckt wachte er auf. Gerade noch in Gedanken einen Fluch auf den Lippen, ein Lamentieren mit seinem Schicksal, erkannte er freudig, welchem üblen Los seiner Träume er entgangen war. Vielleicht war es nicht jedem vergönnt, sich mit Aufgabenzwang, Fleiß und Verlässlichkeit zu Reichtum empor zu kämpfen. So wie es aber um ihn stand, konnte er ohne Gefahr und Herausforderungen sein Leben in Ruhe verbringen… und ohne Druck bis zum Morgen ausschlafen.