Diedorf: haus der kulturen | Erst als der Glutball der roten Sonne tief hinter den endlosen Weiten der mit schwarzen Felspusteln gesprenkelten Sandwüste versunken war, wälzte sich der junge Targi unter seinem Versteck heraus, in dem er vor der sengenden Hitze tagsüber zur Ruhe gelegen hatte. Vorsichtig vermied er es aber dabei die stützenden Hände aus dem Schattenwurf des scharfkantig flachen Basaltsplitters heraus auf zu setzen, um ja nicht mit dem immer noch glühenden Sand in direkte Berührung der Haut zu kommen.
Einen langsamen sparsam kleinen Schluck nahm er dann genussvoll aus dem Kalebassenkürbis , den er tagsüber tief in den Spalt zwischen Felsen und angrenzendem Sand hinein geschoben hatte, welcher ja auch ihm selber während vergangener Stunden Zuflucht gewährt hatte. Nachdem er sich vorsichtig den verkrusteten Sand um die brennenden Augen weg gerieben hatte, gab er auch auf die schmerzende Netzhaut zwischen immer noch zusammen gezwicktem Lidern aus der angesetzten Kürbisspitze gerade mal zwei weitere Tropfen vom kostbaren Nass .
Jede seiner Bewegungen war in der immer noch warm flirrenden Luft langsam und bedächtig, so als gehöre ihm alle Zeit der Welt. Als sich das Nachglimmen der untergegangenen Sonne am Horizont verzogen und am jetzt dunklen Nachthimmel die Sterne und der große fahle Mond zeigten, sprang der Tuareg aber mit einer fast schnellen Bewegung auf, bückte sich kurz und geschmeidig noch einmal , um sein Bündel weniger Sachen unter dem Felsen heraus zu angeln.
Dann löste er das mehrfach um Hals , Kopf und Nacken gewickelte tiefdunkelblaue Tuch, unter dem ein kleiner runder Anhänger aus dunklem Horn zum Vorschein kam. Darauf blinkten seltsame Zeichen aus bleichem Knochen , runde Einlegearbeit aus rötlichem Wüstenbernstein und eingeschlagene sternförmige Nieten aus Silber.
Der Marabu, der weiße Hüter der Traditionen, hatte ihm diesen Anhänger um den Hals gelegt, als er ihm seine Prüfung erklärt hatte. Mit ihm sollte er nur nachts wandernd, den Weg anhand der Sterne von Niamey bis Timbuktu am großen Nigerstrome finden. Mit nur einer Kalebasse Wasser sollte er dabei auskommen. Essen durfte er erst am Ziel der Reise.
Nachdem er sich orientiert hatte und sein Ziel zwischen dem Sternbild des Hundes am Himmelshorizont fixiert hatte, lies er den Anhänger im Halsausschnitt verschwinden, wickelte sorgfältig den langen Stoffstreifen um Kopf und Hals, warf das Bündel um die Schulter und stapfte zügig los.
In einer unserer nächsten Ausstellungen in unserer alten Dorfschmiede, Künstlerhof beim Haus der Kulturen und Maskenmuseum in Diedorf, Lindenstraße 1 zeigen wir Schmuckstücke, Amulette und Talismane. Darunter befindet sich neben so seltsam schmückenden Dingen wie Honigdachskrallen und Ketten aus glänzenden Grünkäferflügeldeckeln auch jener kleine Anhänger der Tuareg im Süden der Sahara, der ebenso wie die viel bekanntere und wesentlich frühere Himmelsscheibe von Nebra wohl als Kompass verwendet wurde.