Hinter der Maske des Maskensammlers

Der Maskensammler. Backstage – abgeschminkt hinter den Kulissen

„Die alten Treppenstufen knarren bei jedem Schritt….“
„Gruselige Gesichter stürmen auf den Besucher ein…“
„Es ist dunkel bei der nächtlichen Führung,….“
„Die Zähne klappern nicht nur vor Kälte…“

Diedorf: haus der kulturen | “ Die alten Holzstufen knarren bei jedem Schritt in dem alten Bauernhaus in der Ortsmitte von Diedorf bei Augsburg. An den Wänden hängen grellrote Hexengesichter, pechschwarze Teufelsfratzen und bleiche, angsteinflößende afrikanische Totenmasken“(Klaus Wittmann in der Stuttgarter Zeitung, Dez.)……. so könnte durchaus der ungeschriebene dritte Teil der „Unendlichen Geschichte“ beginnen.“ Der Wind zieht säuselnd durch die drei Geschosse und sucht sich seinen Weg hinaus durch die Ritzen der Dachverkleidung. Es ist bitterkalt im Museum und der Atem kondensiert jetzt im Winter unter dem borstigen Schnautzbart des alten Mannes zu hellen Nebelschwaden. Aber unter den buschigen Brauen und hinter der randlosen schlanken aber gänzlich beschlagenen Brille, die bis fast vorn auf die Nasenspitze gerutscht ist, blinzeln zwei freundliche Augen. Gott sei Dank: es ist doch nicht der Nachtalb, der die fünf Kinder und Ihre Eltern zu später Stunde durchs winterliche Museum führt, sondern nur der kautzige Museumsbesitzer und Larvensammler. 6000 stumme Gesichter hängen dicht an dicht, wie ungeliebt und fast vergessen an den Wänden, während die leise Grabesstimme des alten Führers ins eigene Reden verliebt und vor sich hinbrummelnd zu jeder Maske passend eine schon fast dem Vergessen geweihte Geschichte zu erzählen beginnt…..

“ Stop! Filmschnitt!!
Herr Stöhr nicht so müde ! Poltern Sie ruhig ein bisschen mehr die Stufen herauf ! Das soll doch kein Film für´s Altersheim werden , sondern für die Abendschau! Da kostet jede Minute!!!! Wir wollen den Zuschauern ja auch noch etwas mehr von Ihren Masken zeigen und ein, zwei Fragen sollten Sie uns schon auch noch beantworten!“ so die Stimme des Regisseurs , der die kleine Filmcrew ins Museum geschleppt hat. „Wissen Sie es ist aber wirklich deftig kalt hier, ich kann kaum die Einstellungen am Objektiv drehen, so klamm sind meine Finger und dann soll ich ja auch noch in dieser Engedei nichts umschmeissen.“ ….mault der Kameramann. “

“ Sie können Sich, während Sie die Treppen mit mehr Schwung machen, gleich mal überlegen, was Sie uns erzählen, wie Sie denn zu so einem Wahnsinn gekommen sind? – oder, was sagt denn Ihre Frau dazu? – Ja und Ihre Lieblingsmaske sollten Sie uns auch noch vorstellen . — Aber bitte immer dran denken: Keine langen Geschichten! Klipp und klar, warum ist das meine Lieblingsmaske und dann machen wir noch einen Schwenk über all die anderen Kontinente und Sie erzählen uns dabei in einem Satz, was das Typische dieser Länder ist, aber nicht abschweifen, ein Satz und immer klipp und klar – verstanden! Sonst kommen wir heute abend auch noch nicht weg und unsere bezaubernde Sprecherin erfriert sich ihre Zehen. Sehen Sie nicht, wie die jetzt schon bibbert? Was ist denn da schon wieder mit der Beleuchtung? Was haben Sie denn da für Sicherungen drin, die halten unsere Filmstrahler doch gar nicht aus. Karl hol mal schnell die Freilandakkus aus´m Kombi – so geht das doch nicht. Dann drehen wir eben jetzt in der Zwischenzeit gleich die Sache mit der Brgründung, warum „er“(damit bin ich gemeint) Masken sammelt und nicht Briefmarken- die könnte man ja schön brav im Warmen hinter dem Ofen durchschauen, nicht wahr Herr Stöhr, stimmts? Das war jetzt Ihr Stichwort verstanden und nun:. Warum…..“

Mir scheinen nicht nur die Ohren eingefroren, sondern auch der ganze Schädel, Gehirn inclusive. Warum nur tue ich mir das an, warum sammle ich Masken?
„Nun ich glaube manchmal ich bin gar nicht so sehr hinter diesen hölzernen Masken her und möchte sie unbedingt ins Museum kriegen, nein, ich denke ich sammle eigentlich Gesichter, eingefrorene und leicht zu bedienende Gefühlsmomente anderer Menschen….“

“ Aus, aus! Aus!!! Herr Stöhr so geht das nicht, Herr Stöhr, wir sind hier, weil es Fasching ist und alle unsere Zuseher etwas Interessantes in dieser Richtung erfahren wollen, freilich doch auch wieder ein wenig Anderes mit mehr Kulturbezug als immer nur dieses Tschindarassabäh, die gesunde Mischung eben – Sie wissen schon! – Sie müssen Sich ja jetzt nicht als Clown zeigen, aber verzapfen Sie doch keinen solchen Psychoschmarrn: Sie sind Maskensammler und nichts anderes . Punkt . Sie sammeln Masken, weil: Doppelpunkt. Und dann können Sie ja auch sagen : weil die so interessant sind, weil die für Sie Kunst sind, weil Sie als Kind so gerne zum Fasching gegangen sind. Sowas eben. Punkt . So einfach ist das! Sehen Sie! Jetzt denken Sie mal nochmal darüber nach.
Wir drehen jetzt eben schonmal an anderer Stelle. Wir können ja schneiden und anders zusammensetzen das kriegen wir schon hin: 2 Minuten wissen Sie sind ja nicht viel. Also : Wie sind Sie zum Maskensammeln gekommen? und ?Kamera läuft:“

„In meiner Studienzeit da sollten wir Studenten uns in Berlin Dahlem mit den alten Meistern beschäftigen und im Museum unsere Entdeckungen aufschreiben und kleine Detailstudien von den Kunstwerken herstellen. Auf der Suche nach meinem für mich persönlich interessantestem Bild , kam ich versehentlich in einen anderen Flügel . Hinter einer großem Glastüre in einem riesigen Raum da lagen seltsame Boote und standen fremd anmutende Häuser. Mit wenigen Erdfarben waren die Aufbauten ausdrucksstark mit Fratzen und Ornamenten bemalt. In den Vitrinen lagen und standen ungewöhnliche Geräte und erschreckende Masken. Überlängte Figuren mit wie zum flehenden Gebet erhobenen Armen oder abwehrend vor sich aus gestreckt versuchten sich in hintersten Ecken fast der Beleuchtung zu entziehen . Ich war völlig begeistert von dieser Südseesammlung und konnte mich nicht mehr von diesem Flügel des Museums trennen. Fremde Welten: Afrika, Asien, die beiden Amerikas, all das hatte ja eine solche Menge an Kulturgut hervorgebracht, das in meinem Empfinden unserer westlichen Welt an Ausdruck so überlegen war.

Ich war ja aber auch nicht der erste Kunststudierende, der sich von solcher Ausdruckskraft fesseln lies. Künstler wie Picasso, Kirchner, Nolde, die Maler der klassischen Moderne ,des Surrealismus und des abstrakten Expressionismus hätten sich nicht mit solcher Geschwindigkeit weiterentwickelt, weg vom Naturalismus und der Naturnachahmung hin zum eigenständigen Ausdruck und eigenen künstlerischen Gesetzmässigkeiten, wenn Sie nicht mit der sogenannten“primitiven Kunst in Berührung gekommen wären.
Kaum wieder im Atellier in München angekommen, begann ich unter der Fülle solcher Eindrücke zu schnitzen und zu malen, schaffte schliesslich auch über reines Kopieren hinaus ein wenig eigenständigen Stil daraus zu entwickeln, legte ein recht gutes Examen hin und vergas schlieslich mit Beginn der Referendarzeit fast ein wenig meine frühere Begeisterung weiterzuentwickeln.
Zu einzigartig und fern meiner Reichweite erschienen vor Allem die Objekte meiner stillen Begierde, die Kunstwerke der Naturvölker und vor Allem Afrikas unvergleichlich kubistische Masken, deren Fotos ich in der Uni-bibliothek damals liebevoll durch meine Finger blättern lassen konnte.

Wiederum ein paar Jahre später passierte es: Bei einer Reise nach Paris schlenderten meine Frau und ich eher zufällig als zu suchen über einen der zahlreichen Flohmärkte- ich glaube es war der marche de Montreux und nicht der Bekanntere von Clinantcourt. Da fielen mir bei einem afrikan. Händler schon von weitem einige wenige bildhaft schöne Masken auf, die ohne Zweifel afrikanischen Ursprungs waren. Der Händler nannte einen astronomisch hohen Preis, der mir auch angemessen schien. Nach kurzem Gespräch aber langer sehnsuchtsvoller Überlegung waren wir dann aber schon wieder am Gehen. Wehmütig zwar aber sicher, ich würde mir solch Preciosen doch nicht leisten können, wandte ich mich ab, um meiner Frau zu folgen.
Da rief uns der Händler leise etwas nach. Ich war überrascht: der Preis der ausgesuchten Maske war wohl auf ein Viertel gesunken. “ Komm, das ist zu viel für unser schmales Portmonaie“ rief meine Frau. Ich blickte den Händler an: Der Preis war bei einem Zehntel des anfangs Geforderten angekommen: 1000 Franc, das waren 330 Mark, man müßte eine Weile sparen, aber das wäre irgendwann abzustottern. Ich versuchte es jetzt selber: „300 Franc???“ Der Händler schüttelte entrüstet den Kopf. Ich begann mich umzudrehen: „800“hörte ich ihn sagen – ich blieb hart, wissend sonst eine Krise mit meiner Frau herauf zu beschwören. „700“ – „400“ (ein wenig hatte ich gehört, sollte man ja nachgeben) Der Händler konterte: “ 500,– Cést le dernier, dernier, dernier price. Bon?? Nachdem ich Angst hatte , er würde dieses augenscheinliche Versehen bei der Preisgestaltung gleich wieder berichtigen, schlug ich augenblicklich ein, ohne die Augen auf meine Frau zu richten. Während ich an meiner Geldbörse herumfistelte, um die fremden Geldscheine richtig abgezählt herauszuziehen, fragte ich beiläufig nach dem Preis für die Maske meiner zweiten Wahl. “ Combien vous donez?“ war die Antwort des Afrikaners, die ich als Aufforderung verstand, jetzt meinen Preis zu sagen: „300,- “ knüpfte ich an meinen ersten Versuch wieder an. “ C´est bon“ sagte dieser schlicht und schaute mich obwohl am Boden sitzend dabei eher schon ein wenig suffisant und so von oben an, als wundere er sich, warum ich denn dann unüberlegt bei der ersten Maske soviel gezahlt hätte. Egal: Ich war glücklich!!! Besaß ich doch jetzt endlich sogar zwei solcher einzigartiger Museumsstücke, von denen ich über Jahre so sehnsuchtsvoll geträumt hatte.
Ich war glücklich!! Meine Frau verständig und so hegte ich schon bald in mir die Sicherheit, auch in Zukunft die Stimmung meiner Frau in diesen Angelegenheiten nicht mehr ins Negative kippen zu können . So klappte das trotz relativ hoher Geldausgabe im hier und dann später auch trotzdem weiterhin mit der Partnerin. ….von wenigen Ausnahmen abgesehen!
Die Sucht hatte zu keimen begonnen.

Diese zwei Masken, in die ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte, blieben leider (?) nicht die letzten. Meine Liebe wechselte schnell von Anlitz zu Anlitz und zu Hause füllten sich die Wände unseres gemeinsamen Hauses mit den Errungenschaften solcher Leidenschaft. Meine beiden ersten Masken, mußten unser trautes Heim leider verlassen, sie entpuppten sich als sogenannte“Kopien“ grob gesagt billige Fälschungen. Als auch die Decke sich stalagmitenartig mit hängenden Gesichtern gefüllt hatte, die am Boden vom Pendant stalagmitischer Statuen aus fernen Kulturen erwiedert wurde, sagte meine Frau: “ Jetzt reichts fei“
Damit stand fest, entweder ich oder meine Masken und Statuen oder alle zusammen mußten das Haus verlassen. Nach langer Suche, fand ich ein Gebäude 2 Minuten zu Fuß von unserer bescheidenen Laube, für deren 400 Quadratmeter so viele (damals 2000) stummen Besucher einfach zu viel waren , das meine vielen aufmerksam und prüfend drein schauenden Freundinnen und Freunde beheimaten konnte. Zuerst zum Testen nur angemietet , werde ich das alte Bauernhaus Ende Februar 2010 ankaufen……….“

“ Herr Stöhr, jetzt können wir wieder! da gab es Probleme mit der Aufzeichnung. Sie haben sich warmgeredet das ist gut. Aber jetzt wieder dran denken: keine Monologe, sondern Erstens, zweitens und dann gleich zum Schluß kommen! Wie kamen Sie zum Maskensammeln? Sie haben 15 Sekunden, das sind höchstens zwei Sätze, einen schneiden wir dann raus, Klar? Und dann zeigen Sie uns Ihre Lieblingsmaske, ok?“
…..“ja“ ….“Ich glaube das mit dem Maskensammeln ist so wie mit der Liebe: wenn man seine Liebe noch nicht gefunden oder wieder verloren hat, hüpft man durch die Beziehungen und sammelt die in Gesichtern eingefrorenen Empfindungen.
Meine ersten Lieblingsmasken sind weg. Aber Masken, die mich begeistern, habe ich immer wieder viele neue gefunden. Ob 6000 schon viel zu viele sind?
Kluge Forscher haben ja herausgefunden, das Sammelleidenschaft an sich nur eine Reaktion auf fehlende Sozialbeziehungen ist. Nun das geht mir schon durch den Kopf, wenn ich mit einer lärmenden Klasse oder ein paar völkerkundlich interessierten Besuchern versuche, hinter die Geschichte der Masken zu kommen. Mit einer lärmenden Klasse geht es natürlich nicht so gut an philosophischen Wurzeln zu graben, – Gottseidank wohl auch. Da muß ich dann wohl eher extrovertiert im dunklen Gebäude diese Schauspielermaske des gruseligen Führers tragen, um die Herzen zu begeistern. Aber mit ein paar gedanklich offenen neuen Besuchern gelingt es sehr wohl im gegenseitigen Austausch von Ideen Gedanken reflektierend weiter zu spinnen. Das macht dann Spass! Viele wirkliche Freunde habe ich ja nicht und ich bin wohl beim vielen Herumreisen bei all der Neugier für Alles Fremde, den vielen neuen Kontakten immer wohl auch ein wenig auf der Flucht vor allzu bekannten Gesichtern. Eben wie ein one night stand – Liebhaber…….“

“ Menschenskinder Herr Stöhr, lassen Sie doch diesen ganzen reflektiven Psychoschmarrn weg!
Wir drehen nochmal und Kamera läuft: Und?:……“

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