Geschichten von der Kokosnuss: Südseeträume zwischen Kopfjagd und Auferstehung

Es gibt eine Reihe von Kulturpflanzen, ohne die manche Lebensgemeinschaften gar nicht denkbar sind und deren Nutzung im täglichen Leben meist viele Teile der Pflanzen gleichzeitig umfasst.

Dazu gehört natürlich in Ostasien der Reis, einmal als wichtiges Grundnahrungsmittel, sein Stroh, das für viele Flechtarbeiten Matten und Dachbedeckungen verwendet wird, das Wasser der Reisfelder das gleichzeitig auch der Fischzucht dient. Da ist der Bambus, der für den gesamten Innen- und Hochbaubereich in Asien nicht mehr wegzudenken ist, dessen nahrhafte junge Sprossen aber auch gegessen werden können. Das ist der Baobab in Afrika, dessen Früchte und Blätter gegessen, dessen Rinde als Raphiafasern genutzt und dessen dicker Stamm und breite Krone Schatten spendet. Diese Aufzählung liese sich beliebig fort setzen.

Und da ist natürlich auch die Kokospalme, die an allen Küsten der Äquator nahen südlichen Erdhalbkugel prächtig gedeiht. Auch wenn die Insel noch so klein ist und der Felsen noch so unwirtlich, irgendwo findet sich dann doch noch ein von dürftigem Quell,- oder Regenwasser versorgtes Plätzchen, auf dem der Baum wachsen kann. Da die Nuss die Eigenschaft besitzt, im Meerwasser schwimmend über lange Zeit keimfähig zu bleiben, hat die Palme Insel für Inselstrand besiedelt und für einfach verfügbare Nahrung gesorgt. In der Nuss ist neben dem vitamin- und proteinreichen Fleisch sogar noch trinkbare Flüssigkeit gespeichert: Ein wertvolles Erste-Hilfe-Päckchen für jeden Schiffsbrüchigen. Kaum denkbar, dass die frühe Besiedlung der weit verstreuten Südseeinseln ohne die Nüsse der Kokospalme möglich gewesen wäre.

Das Fleisch der Ahnen – eine Gruselgeschichte

Viele der Südseegeschichten ranken nun um die lebensrettende und Ernährung sichernde Bedeutung der Nüsse. Da man auf den ozeanischen Inseln Nahrungsmittelknappheit nicht unbedingt immer so einfach mit einem Ausweichen auf benachbarte Bereiche begegnen konnte, hat sich (begründet natürlich nicht nur allein auf ökologisches Denken) der Kannibalismus und das Verspeisen von kürzlich Verstorbenen auf mehreren Inseln in Religion und Brauchtum etabliert. Auch die in Stammesfehden getöteten Feinde wurden rituell und pragmatisch verspeist. Auf den Gräbern der Verstorbenen wuchs erfahrungsgemäß aber oft auch dann wieder eine Kokospalme, deren Früchte erschreckenderweise 3 deutliche Narben wie Mund- und Augenhöhlen der skelettierten menschlichen Schädel aufwies, die man nach erfolgreicher Kopfjagd jüngst vergraben hatte. „Coco“ bedeutet in  polynesischem Spanisch ja auch: der Gespensterbaum. Die Ahnen kümmern sich durch diese Früchte mit ihrem nahrhaften, neu gewachsenen bleichem Fleisch also um Ihre Kinder.

Sina und der Aal – Selbstopfer als größte Liebe

Eben jene Ähnlichkeit des Fruchtansatzes der Nuss mit einem Schädel oder Gesicht, spielt auch in einer Geschichte der Fidschiinseln eine wichtige Rolle. Auch diese Inselgruppe war im Übrigen für ihren oben schon beschriebenen Kannibalismus verschrien.
Dagegen fast schon im Wesen christliches Opfermotiv ist dagegen die Liebesgeschichte eines Prinzen, der sich in eine Häuptlingstocher eines feindlichen Clans verliebte. Um seiner geliebten Sina trotzdem immer nah sein zu können, verwandelte er sich in einen Aal und schlüpfte in das Wasserloch, in dem sie immer badete. Da das glitschige Tier wohl nicht so ganz ihren Vorstellungen entsprach, vertraute sie sich ihrem Onkel an, der versprach, es zu fangen, ihm den Kopf ab zu schneiden und es zu kochen, um es dann gemeinsam verspeisen zu können. Der Aal gestand Sina seine große Liebe und riet ihr aber, den Kopf gesondert zu vergraben. Dann würde eine Palme wachsen, deren Früchte das Gesicht des Aales zeigten, die fortan aber für die Ernährung des Stammes größte Bedeutung erlangen würden und weitere Kopfjagden und Kriegszüge zum Nachbarstamm unnötig machen würde. Friede würde herrschen zwischen den verfeindeten Stämmen.

Die Zerstückelung Hainuweles – Aus dem Tod erwächst Wohlstand für alle anderen

Ein jugendlicher Held findet zwischen den Hauern eines ertrunkenen Wildschweines eine unbekannte Frucht, die er in die Erde pflanzt. Daraus entwickelt sich innerhalb kürzester Zeit ein Baum mit wohlriechenden Blüten. Beim Abschneiden der Blüten verletzt sich Ameta, so der Name des jungen Mannes, und ein Tropfen Blut fällt in eine der Blüten. Wenige Tage später hat sich daraus neben den vielen anderen Kokosnüssen ein junges hübsches Mädchen entwickelt ( Die patriarchalische Mär von der Eva aus der Rippe Adams), das im Gegensatz zur monotheistischen Deutung aber nicht allen Übels Anfang ist. Im Gegenteil, in Hainuwele, so der Name des Mädchens, hat Ameta ein wahres „Eselein-streck-Dich“ gefunden, das alles , was aus ihr wieder heraus kommt, in wertvollste Geschenke um wandelt. Die Schöne ist ein ständig produktiver Schatz, was den Neid der Anderen herausfordert, die Hainuwele in einer Fallgrube töten und , um sie später im Erdofen über heißen Steinen zu kochen, fachgerecht in einzelne Teile zerlegen. Ameta ist wohl eher wegen des Verlustes des so unerwartet gewonnenen „Goldesels“ (Wie gewonnen, so zerronnen), als wegen verlorener Liebe enttäuscht und begräbt die Teile, aus denen Yams, Maniok, Süssbananen, Sago und andere Kulturpflanzen werden. Nur von den Armen, die ihn so liebevoll umkost hatten, kann er nicht so einfach los kommen und bringt sie schließlich zu Mulua Satene, der Urmutter der Menschen. Als Strafe für die Tötung Hainuweles macht Mulua Satene, die Totenrichterin, die Menschen jetzt auch selbst sterblich. Die große Göttin verbindet die Hände der Getöteten, richtet die Arme auf und formt daraus ein Tor, durch das die Menschen am Ende des Lebens gehen müssen. Wem es gelingt, kann als Mensch zurückkehren, alle anderen werden aber zu Tieren und Geistern transformiert.

Die Schöne und der Tod – Eine Geschichte von den Molukken

Beim Stamm der Achote auf Guam findet sich eine weitere Geschichte, bei der die Kokosnuss als ein Symbol für die Umwandlung von Sterben in Leben steht.
Ein wegen Schönheit und Intelligenz viel bewundertes Mädchen litt in Ihren Träumen von Nacht zu Nacht mehr darunter, auf einem Auslegerboot ganz allein auf dem Meer ausgesetzt zu sein. Sie litt schrecklichen Durst, bis sie am Schluss dieser Alpträume dann jeweils immer an die Küste einer wunderbar schönen Insel getragen wurde, auf der sie von einem schönen jungen Insulaner mit dem Saft einer wunderbaren und herrlich schmeckenden Frucht verköstigt wurde. Nachdem sie aber wegen der sich immer wiederholenden Träume tagsüber im schwächer wurde, versuchten all Ihre Freunde und Verwandten die Frucht nach ihrer Beschreibung zu finden, doch vergeblich. Sie wurde schwächer und schwächer und starb. Nachdem sie begraben war, wuchs ein paar Monate später auf ihrem Grab eine Pflanze, die immer höher und höher wurde und in einem der folgenden Jahre die von ihr beschriebenen Früchte trug.


Im Haus der Kulturen in Diedorf bei Augsburg konnten Sie eine Ausstellung bewundern, die viele solcher Südseegeschichten anhand kultischer Objekte, Rindenmalereien und Palmblattgravuren lebendig werden ließ.

siehe auch ‚Geschichten von der Kokosnuss: Südseeträume zwischen Kopfjagd und Auferstehung‘ bei myheimat.de