Vom Schrei der Hände — so das wars! Gestik in der Plastik von Natur- und Kulturvölkern
Diedorf: haus der kulturen | Die letzte Jahresausstellung zieht ins Depot! Wer noch nicht da war , ist selber schuld! Aber wir wolln mal nicht so sein: einen kurzen Überblick über die Fülle, ja Überfülle der Ausstellungsobjekte aus dem Bereich der „Primal arts“, Tribal Art soll Euch doch noch gewährt werden.
Figürliche Holzkunstwerke der Naturvölker sind nicht primär oder gar nicht als erhabene Kunst geplant. Hier im Luxus des rein spielerischen Kunstwerks, werden sich viele nüchterne Zeitgenossen oft fragen müssen:
Wozu? Braucht man das denn zum Leben oder Sterben?
“ ist das Kunst oder kann das weg…?“
Im Gegensatz zu Vielem, was von tausenden von Künstlern der industriell reichen Welt, heute hier so produziert wird, sind alle Arbeiten der Künstler-Handwerker dort bei den Naturvölkern gebrauchsorientiert.
Der in seiner Form interessante Hocker, der Zierkamm sind wie auch die Fetisch-figur aus Holz ganz aus den Möglichkeiten des Materials Holz auf den Verwendungszweck hin entwickelt. Eine betende Figur kann aus dem Stamm geschnitzt die Arme mit gefalteten Händen nicht nach vorne strecken: das bricht mit querstehender Maserung bei den Armen im Gebrauch und wäre zweifelsohne durch das massig weg zu schnitzende Holz vor dem Körper Materialverschwendung. Freilich liesen sich die Unterarme senkrecht auf die Ellbogen zu annageln. Hat der Schnitzer ,der zwar oft aus der Gilde der Schmiede stammt, aber tatsächlich zwei der wertvollen handgeschmiedeten Nägel gerade übrig, verträgt das Holz die Bohrung mit glühendem Nagel ohne elektrische Bohrmaschine, wird es beim Nageln springen, oder bemüht er sich ohne zusätzliche Hilfsmittel, ohne Adaptionen, alles einfachheitshalber aus einem homogenen Holzblock her zu stellen?
Die Hände und Arme des Betenden sind dann entweder dem Baumstamm folgend nach oben erhoben oder flach dem Körper anliegend mit über dem Bauch verschränkten Armen oder gefalteten Händen. Hier wird es dann aber interessant, weil sich gerade unter den gefalten Händen dann der Solar plexus befindet, der als Nervenknotenpunkt von allen Naturvölkern auch als Sitz der Kraft angesehen wird und bei den Figuren bekannterweise im Besonderen bei den Zauber-Fetischen des Kongo oft noch zusätzlich mit magischem Material in einer versteckten und mit Spiegel verschlossenen Bohrung aufgeladen wird.
Selbst von zeitgenössischen Künstlern und Sammlern ganz besonders hochgeschätzt und teuer bezahlt, offenbaren sich die gewagt geschnitzten Plastiken der Mumuye und Chamba aus West-Nigeria, bei denen die Arme auf gesamte Länge noch hinterhöhlt ganz aussen knapp noch unter der Rinde aus dem ursprünglichen runden Stamm, der geometrischen Zylinderform, übrig gelassen werden und meist relativ flach und in umrundendem weiten Schwung um den vereinfachten Körper herumgehen.
Hat die stehende Figur viel nach aussen gerichtete Kraft, so konzentriert sich im Erleben der Naturvölker bei der sitzenden Figur die Kraft nach innen. Sind beim Sitzen auf einem Hocker o.ä. die Ellbogen auf die Knie gestützt, tragen die Unterarme den Kopf, so wird man wie bei der bekannten Plastik Rodins: „des Denkers“ eine in sich zurückgezogene Geisteshaltung der Figuren vermuten. Noch stärker verschliest sich die hockende und der vorgeburtlichen Haltung angenäherte Figur ganz auf sich selbst. Die hockenden Steinfiguren des alten Ägypten waren ebenso für das Ausdauern in alle Ewigkeit hinein konzipiert wie die aus alten Gräbern der bronzezeitlichen Kurgankulturen und den präkolonialen Indianerkulturen bekannten Mumien ,die zusammengeschnürt in Hockstellung überdauern sollten. Der in sich versunkene Denker und der Trauernde verschliesst mit den Händen die Augen vor der ihn umgebenden Welt.
Die Ausstellung kann an andere Museen kostenlos ausgeliehen werden.