„Dreimal schreit der Kauz“: von Seelvogel und Göttinnen Bote – Aspekte jungsteinzeitlicher Religion und Gemeinschaftswesens.
„Kuwit“ „Komm mit“ hallt es drüben aus dem Wäldchen.
Der dunkle Pinsel der Dämmerung hat bereits jetzt am frühen Abend die armseligen Hütten aus Lehm und Stroh mit großem all umfassenden Schwung zum einheitlichen Grau verwischt zusammen mit den winterlichen Bäumen und der eiskalten schmutzig weißen Decke, die unser aller Mutter über das Land der Winde (serbisch: Vinca) gelegt hat.
Mütterchen liegt im Sterben. Seit Tagen hat sie weder gegessen noch getrunken, verloren ist der Glanz in ihren Augen. All ihre Schwestern im Amt des Hohen Rates, all die erfahrenen Frauen des Stammes, sitzen kauernd um sie herum, warten, wann es Zeit ist, sie hinunter zum großen Fluss zu tragen.
Denn Perchta, die göttliche Alte, schickt die Träume, nimmt die Müden mit in die Traumgefilde und reicht den Alten und Kranken die helfende Hand. Sie, die Uralte, die Allwissende, führt unsere sterbenden Schwestern und Brüder sicher über die steile Böschung am Ufer des großen Flusses. Sie bereitet ihnen ein Lager zwischen den großen runden Steinen, deren Oberflächen eingemeißelte Gesichter zeigen, glotzäugig wie die großen dunklen Fischwesen unter der großen schwarzer Spiegelfläche. Hier wird der Fluss nach der Schneeschmelze die Toten finden und sie mitnehmen auf seiner trägen Reise und dann noch weiter bis er zusammengepresst auf wenige Meter am großen steinernen Tor (serb.: Djerdap) wirbelnd und tosend auf immer verschwindet. Am Ufer wird man flache Steine aufschichten, Erinnerungszeichen, kleinen bienenkorbähnlichen Hütten gleich, Wohnstätten für die zurückgebliebenen Seelen.
„Komm mit“ …wieder ruft der Kauz.
Steil ist der Weg zurück, hinauf zur Pappenquelle (serb.: Lepenski Vir), den die Frauen ohne ihre Schwester zurücklegen müssen.
Vorbei an den Bäumen des Grauens, an denen die Ihr Ende finden, die die Ordnung in der Gemeinschaft empfindlich gestört haben, die in der Not vom Allgemeingut des wertvollen von allen angebauten Korns nahmen, die anderen an Leib und Gesundheit übel mitgespielt haben, so wie einer aus der Gruppe jener Männer, die weit draußen vom Dorf für sich leben , auf Jagd gehen und das eingefangene Vieh hüten, das sie im Tausch gegen Korn dem Matriarchat bringen.
Er hatte, seines Triebes nicht mächtig, eine der jüngeren Frauen gegen deren Willen geschändet und dabei übel verletzt. Sie hatten ihn ergriffen, im Ältestenrat der Frauen das Urteil gesprochen und so wurde er von Frauen in dunklen Vogelmasken zum Baum der Winde geführt und gehenkt. Raben, die schwarzen Boten Perchtas, haben ihm dafür jetzt die Augen heraus gehackt und picken ihm das Fleisch von den bleichen Knochen, die im Winde unter dem Gerichtsbaum hin und her pendeln. Fest eingebunden in die rechte Hand gab man ihm eine kleine Statuette der vogelköpfigen Göttin, der großen Richterin, mit auf den letzten Weg.
Perchta, die Uralte, regiert hier an Donau und Theiss im Winter über Menschen, Tiere und Bäume, wacht über das große Sterben und schickt ihre Boten die schwarzen Vögel, oft, viel zu oft. Alle gehorchen Ihrem Ruf, widerspruchslos meist, friedvoll fast immer im Wissen, dass wir doch alle Teil sind an der alles umfassenden Natur, der großen weiblichen Kraft, die uns das Leben schenkt, die uns selbst zu Lebensschöpfern und Behütern des Lebens macht, die aus unserer Hand dieses Leben wieder einfordert am Ende unserer Tage. Unvorstellbar ist Wissen und Macht der allumfassenden großen Frau , deren Gesichter freilich drei an Zahl sind:
Da ist Perchta, die Dunkle, da ist Baborska, die große Mutter und dann als dritte dazu die Jungfrau, die jetzt noch Namenlose, deren Erscheinen im Frühling die Blumen sprießen und das Korn keimen lässt.
Sie ist die Lichtbringerin, die im Reich der Schatten den harten Winter übersteht, mit jedem Trag aber nimmt Ihr Einfluss zu und die Tage werden wieder länger. Ohne Macht und namenlos ist sie in der kalten Zeit, denn die weißen Vögel, Ihre Götterboten, sind ja auch erst im Frühjahr wieder zurück vom Land hinter dem großen Tor, in das sich der Fluss ergießt. Werden sie Botschaft der Verstorben bringen, deren Körper der Fluss mit sich trug?
Die kleinen geschäftigen Möven, die langschnäbeligen weißen Ibisse und die treuen Paare des rotbeinigen Storchs werden hier nisten, werden Ihre Jungen groß ziehen, werden in den sumpfigen Wiesen zwischen den beiden Flüssen in den Feldern der Uralten (serb.: Starcevo) strampelnde kleine Wesen, die Seelen der Verstorbenen, heraus fischen und all den jungen Müttern vertrauensvoll als Ihre neu geborenen Kinder in die Arme legen.
„Kuwit“ – „Komm mit“, der Kauz, allwissender Vogel der Göttin, schreit ein drittes Mal
Ruft er nach der allzu jungen Mutter, die im Haus der Gebärenden, gerade einem Neugeborenen das Leben schenkt oder gilt sein Ruf im beginnenden Frühlingstaumel dieses eine Mal vielleicht nur seiner eigenen Gefährtin?
Erklärungen:
In der Wissenschaft spricht man von der „neolithischen Revolution“, dem beginnenden geplanten Anbau von Ackerfrüchten und Korn anstelle dem voraus gegangenen reinen Sammeln von Samen und Früchten und Wurzeln aus Wildwuchs bei den Jäger,- und Sammlerkulturen der mittleren Steinzeit. Gezielter Anbau, machte es notwendig länger an einem Platz zu leben. Erste feste Siedlungen entstanden, die von einer Gruppe von älteren Frauen geführt wurden.
Männergruppen scheinen bei der Jagd und bei der Viehzucht weiterhin eher von Weide zu Weide gezogen zu sein. Solche von Frauen geleiteten Siedlungen findet man in der Zeit von 5000 bis 3000 v. Christus im Bereich des fruchtbaren Halbmondes an Euphrat und Tigris und in Palästina und entlang der unteren Donau und Ihren Nebenflüssen.
Ab 3000 vor Christus werden diese matriarchalen Donaukulturen in Schüben bis zur indogermanischen Wanderung um 1000 v. Christus Zug und Zug von den viehzüchtenden Streitwagen,- und Reitervölkern aus den Steppengebieten hinter dem Kaukasus in vaterrechtlichem Verbund erobert und kulturell integriert. Im Gegensatz zu den neolithischen Werkzeugen zum Ackerbau waren die Nomadenvölker zum Teil schon mit Bogen und Pfeilen mit Kupfer- und Bronzespitzen und ebensolchen Stichwaffen ausgerüstet.
Der agraren Gesellschaft hilft am besten friedvolle Zusammenarbeit. Ziegen-, Schaf- und Rinderherden mehren sich schneller durch Raub und Überfall auf Nachbargruppen.
Diese sogenannten Kurgankulturen (Kurgan: Grabhügel für den Führer der Gruppe) führten im religiösen Leben einen eben auch patriarchal geleiteten Götterhimmel ein und integrierten darin die regional leicht unterschiedlichen Erscheinungsformen der Muttergottheit. Eben jenes Durchsetzen Wollen patriarchaler Herrschaft schuf später im Bereich des fruchtbaren Halbmonds über Zwischenstufen (z.B. Echnaton und Aton, die jonischen Griechen und ihr Zeus usw.) die heute bekannten drei auseinander heraus geborenen patriarchal monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum, Islam.
Das matriarchale Postulat im Neolithikum : „ Arbeite für die Gemeinschaft“ wird mit der indogermanischen Eroberung zum „Arbeite für Fürst und Herrscher“.
In den neolithischen Donaukulturen und im fruchtbaren Halbmond wurden Unmengen von kleinen Mutteridolen gefunden, die den Toten mitgegeben und oder in Tempelkomplexen niedergelegt waren. An mehreren Orten wurde der Rat der alten Frauen und Priesterinnen als Modell im Fundkomplex kreisförmig hinterlegter Figürchen entdeckt.
Bei den meisten weiblichen Tonmodellen der Vinca-Kultur rund um Belgrad in Serbien sieht man am dreieckigen Gesicht mit Vogelschnabel im Übergang zum Hinterkopf eine deutliche Rille wie als Abschluss einer Maske. Wie von Maria Giambutas, der heraus ragenden Forscherin der frühen Kulturen Europas, mit überwältigenden Beweisen schon längst vermutet, gab es bei den Kulturen der großen Göttin im Donauraum wie bei den Syrohethitern (Astartekult) einen Vogelmaskenkult.